Antagonistisches
Alan Rickman wurde in einem Interview gefragt, wie er seine Bösewicht-Rollen so überzeugend hinkriegt. Er meinte darauf sinngemäß, dass er sie nie als Bösewichter anlegt, sondern als ganz normale Menschen, die ein Ziel verfolgen. Das lässt sich hervorragend aufs Schreiben übertragen und ich halte es mir vor Augen, wenn ich meinen Antagonisten auf den Zahn fühle.
Der aktuelle ist aus vielen Gründen, die hier zu weit führen würden, ein sehr spezieller Fall und ein Teil von mir sympathisiert heftig mit ihm. So heftig, dass ich ihm gewisse Gemeinheiten nicht auf den Leib schreiben will. Oder anders formuliert: Ich nehme ihn vor mir selbst in Schutz. Jetzt stellt sich heraus, dass ich ihn doch etwas fieser sein lassen muss, wenn der Plot "ziehen" soll. Und ich bin hin- und hergerissen, denn damit wäre er "böser" als sein Ziel es erfordert. Oder doch nicht?
Grundsätzliche Frage bleibt, wie sehr man (ich!) eine Figur entsprechend ihrer Funktion im Plot hinbiegen darf. Was wichtiger ist, die Spannung oder die Figurentreue. Was zuerst war, die Henne oder das Ei. Ich plädiere für die Henne, also die Figur, die das Ei, also den Plot legt. Bloß, dass nicht sie selbst, sondern ich ihn ausbrüte, aufziehe und dafür sorgen muss, dass das Küken nicht hinkt. So wie diese Metapher es leider tut. Wahrscheinlich hat Frau Professor L. recht, und ich muss mich zum dritten, vierten oder fünften Mal auf einen Kaffee mit meinem Antagonisten zusammensetzen und seine verquere, gebeutelte Psyche auf mich wirken lassen. Besser als einsames Brüten ist das allemal.